"Sumpflegende" von Paul Klee aus dem Jahr 1919
I. Die Geschichte von Lilly und Claude Cassirer
II. Die Geschichte von Paul Westheim
IV. Die Geschichte von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer III. Die Geschichte von Sophie Lissitzky-Küppers
"Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung." Diese Worte Adolf Hitlers begleiteten die Eröffnung der Ausstellung "Entartete Kunst" im Archäologischen Institut München. Im dritten Raum, an der sorgfältig inszenierten Dada-Wand, hing das 1919 entstandene Ölgemälde Sumpflegende von Paul Klee. Bis zu seiner Beschlagnahmung hing das Bild im Provinzialmuseum Hannover. Aber eigentlich gehörte es der Kunsthistorikerin Sophie Lissitzky-Küppers.
Sophie Lissitzky-Küppers wurde am 1891 in Kiel geboren. Während ihres Kunststudiums lernte sie Paul Erich Küppers kennen; 1916 heiratete das Paar. Paul-Erich hatte drei Monate zuvor mit dem Museumsdirektor Albert Brinckmann die Kestner-Gesellschaft gegründet, "eine neue, von der Diktatur des Stadtdirektors unabhängige Ausstellungsmöglichkeit" (Sophie Küppers). Paul-Erich übernahm die künstlerische Leitung, Sophie handelte mit Kunst und leistete Überzeugungsarbeit bei Sammlern und Mäzenen. "Es war die glücklichste Zeit meines Lebens", sagte sie später.
Im Frühjahr 1919 ermöglichte es ein Erbe von Sophies Onkel dem Ehepaar, erstmals selbst in größerem Stil Kunst zu kaufen, unter anderem Arbeiten von Kurt Schwitters, Emil Nolde und Wassily Kandinsky. In dieser Zeit gelangte auch die Sumpflegende in ihren Besitz.
Sophie Lissitzky-Küppers (1891 - 1978)
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1921 war Sophie weiterhin als Kunsthändlerin tätig. 1922 machte Kurt Schwitters sie mit El Lissitzky bekannt. Von seiner Kunst war sie sofort begeistert, wenig später auch von ihm selbst. Der Mitbegründer des Konstruktivismus pendelte vier weitere Jahre lang zwischen seiner russischen Heimat und Deutschland, 1926 bat er Sophie, zu ihm nach Moskau zu kommen und seine Frau zu werden. Sophie löste den Haushalt in Hannover auf und übergab die bedeutendsten Werke ihrer Kunstsammlung dem Direktor des Hannoverschen Provinzialmuseums zur Aufbewahrung.
Zum Jahresende 1941 wurde das neue Glück in Moskau jäh unterbrochen: Am 30. Dezember starb El Lissitzky, Sophies Sohn Hans wurde zum Arbeitsdienst eingezogen. Drei Jahre später verkomplizierte sich ihr Leben weiter: Man stufte sie trotz ihrer sowjetischen Staatsangehörigkeit als deutsch ein – und verbannte sie und ihren Sohn Jen auf Lebenszeit. Sie wurden nach Nowosibirsk gebracht.
Erst zwölf Jahre später, am 3. Januar 1956, erhielt Sophie die Mitteilung, dass sie "von der Registrierung als Spezialverbannte befreit" sei. Damit war allerdings nicht das Recht verbunden, ihr beschlagnahmtes Eigentum zurückzufordern. Lissitzky-Küppers lebte weiter in finanzieller Not.
Im September 1958 konnte Sophie Lissitzky-Küppers wieder in den Westen reisen und dort nach ihren Kunstwerken forschen. Der nun amtierende Direktor des Museums in Hannover antwortete auf ihre Frage nach dem Verbleib der Bilder: "Zu meinem großen Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass die von Ihnen genannten Bilder wie überhaupt alles, was sich an moderner Kunst im Hannoverschen Museum befand, 1937 verloren gegangen ist, und dass trotz aller Bemühungen auch keine Spuren mehr davon aufzufinden sind. Sie werden sich also, sehr geehrte Frau Lissitzky, mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass Ihre Bilder verloren sind."
Als Werk eines "Geisteskranken" angeprangert: Die "Sumpflegende" im Zentrum der Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" in München, 1937.
Tatsächlich waren die Bilder 1937 für die Ausstellung "Entartete Kunst" ausgesucht worden. Da es sich bei den Kunstwerken Lissitzky-Küppers um das Eigentum von "Nicht-Reichsangehörigen" handelte, musste die weitere "Verwertung der sichergestellten Produkte" gesondert geprüft werden. Letzten Endes waren die Kunsthändler die Nutznießer: Sie verkauften die Bilder in Kommission oder erwarben sie selbst zu Vorzugskonditionen.
Sophie Lissitzky-Küppers reiste zurück nach Nowosibirsk, ohne zu wissen, was aus ihren Bildern geworden war.
Vier Jahre später stand die Sumpflegende wieder zum Verkauf. Das Kölner Kunsthaus pries das Auftauchen des Bildes als Sensation. Der Baseler Sammler Ernst Beyeler, der bereits einen Kandinsky aus Sophies Sammlung besaß, wusste zwar von der Geschichte des Gemäldes, kaufte es aber trotzdem. Nach Stationen in einer weiteren Privatsammlung und einer Luzerner Galerie kaufte es 1982 die Stadt München und die private Gabriele-Münter und Johannes-Eichner-Stiftung. Sie überließen es der Städtischen Galerie im Lenbachhaus als Leihgabe.
Sophie Lissitzky-Küppers war zu diesem Zeitpunkt schon tot. Sie war 1978 im Alter von 87 Jahren in Nowosibirsk gestorben. Ihrem Sohn Jen gelang es erst 1989, aus Russland auszuwandern. Gestützt auf eine handgeschriebene Liste von Sophie führte er mit Expertenhilfe die Suche nach den Kunstwerken fort. Zuerst fand er die Sumpflegende. Das Lenbachhaus wollte aber nicht verhandeln, sondern plädierte auf gutgläubigen Erwerb und verjährte Ansprüche. Lissitzky versuchte, das Bild per einstweiliger Verfügung in Berlin sicherzustellen, schlug damit aber fehl. "Museumsskandal: Russe pfändet Millionengemälde", titelte die Bild-Zeitung. 1993 ging auch eine Klage gegen die neuen Münchner Eigentümer verloren, eine endgültige Entscheidung steht immer noch aus. In anderen Fällen haben die Erben aber inzwischen recht bekommen.
Gekürzte Zusammenfassung der Redaktion aus dem Buch: "Verlorene Bilder – Verlorene Leben. Jüdische Kunstsammler und was aus ihren Kunstwerken wurde" von Melissa Müller und Monika Tatzkow, erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag.